Im hektischen Alltag haben viele von uns den Eindruck, ständig unter Druck zu stehen: Aufgaben, die sich türmen, To-Do-Listen, die scheinbar nie enden, und dann das Gefühl, immer schneller, besser, effizienter sein zu müssen. Gerade für neurodivergente Menschen und jene, die sich von Stress und Burnout erholen, kann dieser Druck zur Belastungsprobe werden. Doch wie kommen wir wirklich zu mehr Ruhe, Gelassenheit und innerer Stärke? Die Antwort liegt in der Kraft der kleinen Schritte.
Warum das Nervensystem nur kleine Veränderungen halten kann
Das Nervensystem ist unser inneres Alarmsystem. Es reagiert auf alles, was wir als Bedrohung oder Herausforderung wahrnehmen – sei es eine schwierige Aufgabe, eine emotionale Belastung oder auch ein überwältigender Alltag. Unser Nervensystem verändert flexibel seinen Zustand, je nachdem, was die aktuelle Situation erfordert. Doch diese Balance ist empfindlich. Große Veränderungen, besonders wenn sie schnell geschehen, können das Nervensystem überfordern und Stressreaktionen auslösen. Die meisten Menschen haben bereits die Erfahrung gemacht, dass schnelle und große Veränderungen oft nur schwer durchzuhalten sind und auch nicht lange halten.
Unser Nervensystem kann viel besser in kleinen, überschaubaren Schritten wachsen und sich anpassen. Kleine Veränderungen lassen sich leichter integrieren und verarbeiten. Wenn wir stattdessen große, radikale Schritte gehen, dann kann das Nervensystem für unser Nervensystem so überfordernd werden, das es auf Schutzmechanismen umschaltet, um nicht überflutet zu werden. Deshalb ist es so wichtig, in kleinen Schritten vorzugehen und dem Körper und Geist Zeit zu geben, sich anzupassen und zu stabilisieren.
Das Stresstoleranzfenster – unser Spielraum für Veränderung
Jeder Mensch hat ein individuelles Stresstoleranzfenster, auch als "Window of Tolerance" bekannt. Innerhalb dieses Fensters sind wir in der Lage, flexibel, ruhig und angemessen auf die Anforderungen des Lebens zu reagieren. Sobald wir jedoch dieses Fenster verlassen – durch zu viel Stress, Überforderung oder auch Traumata – wechselt unser Nervensystem in einen Überlebensmodus.
Im Überlebensmodus sind wir entweder hyperaktiv, reizbar und ständig auf "Kampf oder Flucht" eingestellt, oder wir verfallen in eine Art Schutzstarre ("Freeze"), in der wir uns ausgebrannt, erschöpft und manchmal sogar apathisch fühlen. In diesem Zustand ist das Wachstumspotenzial praktisch blockiert. Stattdessen verliert unser Körper kontinuierlich Energie, um uns weiterhin in diesem Überlebensmodus zu halten. Diese ständige Aktivierung oder Blockade führt langfristig zu Erschöpfung und kann im schlimmsten Fall in einem Burnout enden.
Wachsen außerhalb des Stresstoleranzfensters? Ein Mythos.
Es herrscht oft die Vorstellung, dass wir nur „außerhalb unserer Komfortzone“ wirklich wachsen. In Teilen stimmt das auch, aber diese Komfortzone sollte nicht mit dem Stresstoleranzfenster verwechselt werden. Außerhalb des Stresstoleranzfensters befinden wir uns nicht in einer förderlichen Wachstumszone, sondern einfach nur im Überlebensmodus. Während die Komfortzone ein Ort der Gewohnheit ist, wo es keine Herausforderungen gibt, ist das Stresstoleranzfenster der Bereich, in dem unser Nervensystem in Balance bleibt und Raum für konstruktive Veränderungen entsteht.
Wirkliches Wachstum geschieht also innerhalb unseres Stresstoleranzfensters und durch langsame, kontinuierliche Erweiterung. Kleine Schritte erlauben es uns, unser System auf sichere Weise zu erweitern, ohne es zu überfordern. Ein nachhaltiges Wachstum bedeutet, dass wir lernen, unser Fenster von innen aus zu vergrößern, sodass unser Nervensystem mehr Kapazität für Stress und Herausforderungen hat – ohne in den Überlebensmodus zu wechseln.
Die Kraft der kleinen Schritte nutzen – praktische Tipps
Setze dir realistische, kleine Ziele: Statt dir vorzunehmen, alle Probleme auf einmal zu lösen oder ab morgen ein komplett neuer Mensch zu sein, starte mit einer kleinen Veränderung. Vielleicht ist das ein täglicher Moment der Achtsamkeit, die Tasse Tee am Morgen, bevor der Tag richtig startet oder ein täglicher Spaziergang an der frischen Luft. Die Aufgabe sollte so klein sein, dass du sie mühelos in deinen Alltag integrieren kannst.
Achte auf die Signale deines Körpers: Unser Körper gibt uns viele Signale, wenn wir das Stresstoleranzfenster verlassen. Achte auf Anzeichen wie erhöhte Reizbarkeit, Müdigkeit oder das Gefühl von Überforderung. Wenn du solche Signale wahrnimmst, ist das ein Hinweis darauf, dass es Zeit ist, innezuhalten und zu schauen, was du brauchst, um dich zu beruhigen und wieder in dein Stresstoleranzfenster zurückzukehren.
Feiere kleine Erfolge: Jeder kleine Schritt, den du gehst, verdient Anerkennung. Wenn du stolz auf dich bist, stärkt das dein Nervensystem und motiviert dich, weiterzumachen. Selbst ein kleiner Fortschritt ist ein Erfolg, denn er bedeutet, dass du auf einem Weg des nachhaltigen Wachstums bist.
Geduld und Selbstmitgefühl kultivieren: Langfristige Veränderung ist kein Sprint, sondern ein Marathon. Besonders in der Burnout-Erholung und im Umgang mit Neurodivergenz ist Geduld der Schlüssel. Übe dich in Selbstmitgefühl und erinnere dich daran, dass jede kleine Veränderung zählt – und dass du nicht perfekt sein musst, um Fortschritte zu machen.
Schaffe kleine Routinen: Unser Nervensystem liebt Vorhersehbarkeit und Rituale, da sie Sicherheit und Struktur bieten. Kleine Routinen – etwa das Glas Wasser am Morgen um deinen Körper zu hydrieren, ein paar Dehnübungen nach dem Aufstehen, oder eine entspannende Atemübung am Abend – signalisieren dem Nervensystem, dass es sich sicher und geborgen fühlen darf. Diese kleinen Rituale stärken die Selbstregulation und schaffen Vertrauen in den Prozess.
Kleine Schritte für ein nachhaltiges Wachstum
Die Kraft der kleinen Schritte liegt darin, dass sie uns auf sanfte Weise erlauben, unser Stresstoleranzfenster zu erweitern und gleichzeitig unser Nervensystem zu schonen. Veränderung, die sich in kleinen Schritten vollzieht, ist wie das langsame Gießen einer Pflanze: Sie hat Zeit, Wurzeln zu schlagen, bevor sie in die Höhe wächst. Ein überstürztes Vorgehen schlägt leicht ins Gegenteil um und kann Stress, Überforderung und schließlich den Überlebensmodus aktivieren.
Die kleinen Schritte sind nicht der „leichte“ Weg, sondern der nachhaltige und weise Weg – derjenige, der dir langfristig Stabilität, innere Stärke und Resilienz schenkt.
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