Das Nervensystem ist die Basis für unser gesamtes körperliches und emotionales Erleben. Als Coach für Frauen, die sich mit Themen wie Nervensystemregulation, Hochsensibilität und Hypnose auseinandersetzen, möchte ich dir in diesem Glossar die wichtigsten Begriffe rund um das Nervensystem vorstellen. Dieses Wissen kann dir dabei helfen, deine eigene Nervensystemregulation besser zu verstehen und bewusst zu unterstützen.
1. Nervensystem
Das Nervensystem ist das komplexe Netzwerk von Nerven und Zellen in unserem Körper, das für die Übertragung von Signalen zwischen verschiedenen Körperteilen und dem Gehirn verantwortlich ist. Es steuert alle körperlichen Funktionen, Emotionen und unsere Reaktionen auf Stress.
2. Autonomes Nervensystem (ANS)
Das autonome Nervensystem ist ein Teil des Nervensystems, der unbewusste Körperfunktionen wie Atmung, Herzschlag und Verdauung steuert. Es besteht aus zwei Hauptteilen: Symathikus und Parasympathikus.
3. Sympathikus-Tonus
Der Sympathikus-Tonus beschreibt das Aktivitätsniveau des sympathischen Nervensystems. Ein hoher Tonus deutet auf eine anhaltende Stress- oder Kampf-Flucht-Reaktion hin, während ein niedriger Tonus auf Entspannung hindeutet.
4. Parasympathikus-Tonus
Der Parasympathikus-Tonus ist das Maß für die Aktivität des parasympathischen Nervensystems, das für Entspannung und Regeneration verantwortlich ist. Ein hoher Tonus des Parasympathikus zeigt, dass der Körper gut in der Lage ist, sich nach Stress zu erholen.
5. Vagusnerv
Der Vagusnerv ist der Hauptnerv des parasympathischen Systems und spielt eine zentrale Rolle bei der Regulation von Herzfrequenz, Verdauung und Stressreaktionen. Ein gut regulierter Vagusnerv hilft dabei, sich schneller von Stress zu erholen und unterstützt das emotionale Gleichgewicht.
6. Polyvagal-Theorie
Die Polyvagal-Theorie wurde von Dr. Stephen Porges entwickelt und beschreibt, wie der Vagusnerv das autonome Nervensystem beeinflusst. Sie unterscheidet drei Zustände:
Ventrale Vagalaktivierung (Sicherheit und Verbindung): Dies ist der Zustand, in dem wir uns sicher fühlen, sozial verbunden sind und unser Nervensystem ausgeglichen ist.
Sympathische Aktivierung (Kampf oder Flucht): Dies tritt auf, wenn wir uns bedroht fühlen und unser Körper in Alarmbereitschaft versetzt wird.
Dorsale Vagalaktivierung (Erstarrung oder Zusammenbruch): Dieser Zustand tritt bei überwältigendem Stress ein, wenn weder Kampf noch Flucht möglich sind, was zu Rückzug oder emotionalem Abschalten führt.
5. Dysregulation des Nervensystems
Eine Dysregulation des Nervensystems bedeutet, dass das Gleichgewicht zwischen den verschiedenen Zuständen des autonomen Nervensystems gestört ist. Das kann sich durch ständige Anspannung (übermäßige Sympathikus-Aktivierung), chronische Erschöpfung oder Schwierigkeiten bei der Entspannung (unzureichende Parasympathikus-Aktivierung) äußern. Eine gute Selbstregulation hilft, solche Zustände zu vermeiden.
6. Hochsensibilität
Hochsensible Menschen reagieren stärker auf äußere Reize und haben ein empfindlicheres Nervensystem. Das kann zu einer schnelleren Überstimulation führen, weshalb Hochsensible oft Strategien zur bewussten Regulierung ihres Nervensystems benötigen, um Überforderung zu vermeiden.
7. Hypervigilanz
Hypervigilanz ist ein Zustand erhöhter Wachsamkeit, in dem das Nervensystem ständig auf Bedrohungen achtet. Dies tritt häufig nach traumatischen Erlebnissen auf und kann das Nervensystem in einem Zustand der ständigen Übererregung halten.
8. AD(H)S (Aufmerksamkeitsdefizit-(Hyperaktivitäts-)Störung)
ADHS ist eine neurobiologische Störung, die durch Symptome wie Unaufmerksamkeit, Impulsivität und Hyperaktivität gekennzeichnet ist. Menschen mit ADHS haben oft Schwierigkeiten, ihre Aufmerksamkeit zu fokussieren und ihr Verhalten zu regulieren, was eine chronische Dysregulation des Nervensystems auslösen kann.
Das Nervensystem von Menschen mit ADHS neigt dazu, schneller in einen Zustand der Übererregung oder Unterstimulation zu geraten, was dazu führen kann, dass sie Schwierigkeiten haben, sich auf eine Aufgabe zu fokussieren oder sich zu entspannen (selbst wenn der Körper entspannt ist, arbeitet der Kopf meist noch weiter). In stark ausgeprägten Fällen, verbunden mit einen hohen Leidensdruck, ist oft eine medikamentöse Behandlung die einzig wirksame Möglichkeit, um das Nervensystem wieder langfristig zu regulieren.
9. Autismus-Spektrum-Störung (ASS)
Autismus ist eine neurologische Entwicklungsstörung, die durch Schwierigkeiten in der sozialen Interaktion, Kommunikation und einem erhöhten Bedürfnis nach Routine oder sensorischen Reizen gekennzeichnet ist. Menschen im Autismus-Spektrum erleben oft eine erhöhte oder verminderte Sensibilität gegenüber Reizen wie Geräuschen, Licht oder Berührungen, was auf eine atypische Reizverarbeitung im Nervensystem hinweist.
Viele Menschen mit Autismus zeigen eine verstärkte Reaktion auf sensorische Reize, was zu Überstimulation führen kann, oder sie ziehen sich in einem Zustand der Reizunterdrückung zurück. Strategien zur Nervensystemregulation, wie sensorische Integrationstherapie oder Selbstregulationstechniken, können dabei helfen, Stress zu reduzieren und den Umgang mit Reizüberflutung zu verbessern.
10. Hypnose und Nervensystemregulation
Hypnose ist eine Methode, bei der das Unterbewusstsein angesprochen wird, um tiefe Entspannung zu erreichen und das Nervensystem positiv zu beeinflussen. Durch gezielte Hypnosetechniken kann das parasympathische System aktiviert und Stress abgebaut werden, was zur Regulation des Nervensystems beiträgt.
11. Stresstoleranzfenster (Window of Tolerance)
Der Begriff "Window of Tolerance" beschreibt den Bereich, in dem unser Nervensystem ausgeglichen ist und wir in der Lage sind, effektiv auf Herausforderungen zu reagieren, ohne in extreme Stresszustände zu geraten. Wenn wir uns innerhalb unseres "Fensters" befinden, sind wir in einem Zustand der Ruhe und Selbstregulation. Wenn wir darüber hinausgehen, erleben wir entweder Übererregung (Kampf- oder Fluchtzustand) oder Untererregung (Erstarrungszustand).
12. Selbstregulation
Selbstregulation beschreibt die Fähigkeit, das eigene Nervensystem zu beruhigen und wieder ins Gleichgewicht zu bringen, nachdem man Stress oder intensive Emotionen erlebt hat. Techniken wie Atemübungen, Meditation, Bewegung und Hypnose können dabei helfen, das Nervensystem zu regulieren.
13. Co-Regulation
Co-Regulation bedeutet, dass unser Nervensystem in engem Kontakt mit anderen reguliert wird. In sozialen Interaktionen, vor allem in engen Beziehungen, kann ein Mensch (oder auch ein Tier) helfen, das Nervensystem eines anderen zu beruhigen und Sicherheit zu signalisieren. Dies ist ein natürlicher und wichtiger Aspekt menschlicher Beziehungen.
14. Resilienz
Resilienz ist die Fähigkeit, sich von stressigen oder traumatischen Erfahrungen zu erholen und flexibel auf Herausforderungen zu reagieren. Ein gut reguliertes Nervensystem ist die Grundlage für Resilienz, da es uns ermöglicht, in stressigen Situationen einen klaren Kopf zu bewahren und schneller in den Ruhezustand zurückzukehren.
15. Neuroplastizität
Neuroplastizität beschreibt die Fähigkeit des Gehirns, sich lebenslang zu verändern und anzupassen. Diese Eigenschaft ermöglicht es, neue neuronale Verbindungen zu bilden, was bei der Heilung von Traumata, dem Erlernen neuer Verhaltensweisen und der Regulation des Nervensystems eine zentrale Rolle spielt.
16. Fight-Flight-Freeze-Response
Dies ist die automatische Reaktion des Körpers auf Gefahr. Der Kampf-(Fight)- oder Flucht-(Flight)-Modus wird durch den Sympathikus aktiviert, während die Erstarrung (Freeze) durch die dorsale Aktivierung eintritt. Diese Reaktionen sind Schutzmechanismen, die darauf abzielen, uns in gefährlichen Situationen zu helfen.
17. Neurozeption
Der Begriff stammt aus der Polyvagal-Theorie und beschreibt die unbewusste Fähigkeit unseres Nervensystems, die Umwelt auf Bedrohung oder Sicherheit zu scannen. Dies geschieht unterhalb unserer bewussten Wahrnehmung und beeinflusst, ob wir uns sicher oder gestresst fühlen.
18. Chronischer Stress
Chronischer Stress tritt auf, wenn der Körper über einen längeren Zeitraum hinweg in einem Zustand der Übererregung oder Anspannung verweilt. Dies kann zu einer dauerhaften Aktivierung des Sympathikus führen, was das Nervensystem dysreguliert und negative Auswirkungen auf Körper und Geist haben kann.
19. Atemregulation
Die Atmung ist eine der wenigen Funktionen, die sowohl bewusst als auch unbewusst gesteuert werden kann. Durch gezielte Atemtechniken, wie die tiefe Bauchatmung, kann das Nervensystem beruhigt und der Parasympathikus aktiviert werden.
20. Traumareaktion
Traumareaktionen sind intensive körperliche und emotionale Reaktionen auf überwältigende Ereignisse. Traumatische Erlebnisse können das Nervensystem dysregulieren und Menschen in einem dauerhaften Zustand der „Kampf, Flucht oder Erstarrung“ halten. Die Arbeit mit dem Nervensystem ist oft ein zentraler Bestandteil der Traumaheilung.
21. Dissoziation
Dissoziation ist ein Schutzmechanismus des Nervensystems, der häufig in extremen Stress- oder Traumasituationen auftritt. Es handelt sich um eine Art "Abschalten" von Körper und Emotionen, um mit überwältigenden Erfahrungen fertig zu werden. Dies kann sich als emotionales Taubheitsgefühl oder ein Gefühl der Entfremdung vom eigenen Ich äußern.
22. HPA-Achse (Hypothalamus-Hypophysen-Nebennieren-Achse)
Die HPA-Achse ist ein wichtiges Stressreaktionssystem des Körpers, das die Ausschüttung von Cortisol reguliert. Sie spielt eine zentrale Rolle bei der Reaktion auf akuten und chronischen Stress und beeinflusst die Regulation des Nervensystems.
23. Cortisol
Cortisol ist ein Stresshormon, das von den Nebennieren ausgeschüttet wird, wenn der Körper unter Stress steht. Es hat die Aufgabe, Energie bereitzustellen und die Stressreaktion zu unterstützen. Langfristig erhöhte Cortisolspiegel können das Nervensystem allerdings dysregulieren und zu Erschöpfung führen.
24. Arousal (Erregungsniveau)
Arousal bezeichnet das allgemeine Erregungsniveau des Nervensystems. Es kann von niedrig (Entspannung) bis hoch (starke Aktivierung) reichen. Die Fähigkeit, das eigene Arousal zu regulieren, ist entscheidend, um emotionales Gleichgewicht und Resilienz zu fördern.
25. Somatic Experiencing
Somatic Experiencing ist eine körperorientierte Therapieform, die von Dr. Peter Levine entwickelt wurde. Sie zielt darauf ab, gespeicherten Stress und Trauma aus dem Körper zu lösen, indem das Nervensystem langsam und sicher zur Selbstregulation angeregt wird.
26. Somatische Intelligenz
Somatische Intelligenz beschreibt die Fähigkeit, die Signale des eigenen Körpers zu erkennen und darauf zu reagieren. Das Bewusstsein für körperliche Empfindungen wie Anspannung oder Entspannung ist ein wichtiger Teil der Nervensystemregulation, da es hilft, frühzeitig Stresssymptome zu erkennen und Gegenmaßnahmen zu ergreifen.
27. Biofeedback
Biofeedback ist eine Methode, die es ermöglicht, physiologische Prozesse wie Herzfrequenz oder Hautleitfähigkeit in Echtzeit zu beobachten. Mit dieser Technik können Menschen lernen, bewusst auf ihre körperlichen Reaktionen einzuwirken und ihr Nervensystem zu regulieren.
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