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Was ist Hochsensibilität?

Aktualisiert: 20. Sept. 2022

Definition laut IFHS (Informations- und Forschungsverband Hochsensibilität e.V.):


"Aufgrund besonderer Eigenschaften ihres Nervensystems nehmen Hochsensible mehr und intensiver wahr, als andere Menschen. Dies hat mache Vorteile, führt allerdings auch zu früherer Erschöpfung und scheinbar geringerer Belastbarkeit."



Der Begriff "Hochsensibilität" wurde erstmals von Elain Aron in den 1990er Jahren geprägt. Sie stützte sich bei der Entwicklung ihres Konzeptes auf selbst durchgeführte Interviews und Studien sowie auf vorliegende Theorien und Forschungsergebnisse anderer.


Unter anderem geht sie davon aus, dass 15- 20% der Menschen hochsensibel sind, d.h. sie bemerken Feinheiten in ihrem Umfeld und sind leichter überflutet von einer stark stimulierenden Umgebung. Es geht nicht darum, bessere Augen oder ein schärferes Gehör zu haben - oder gar "hellsichtig" zu sein, sondern darum, dass HSP (= Kurzform von "Hochsensible Person(en)") mehr Informationen/Reize aus der Umgebung wahrnehmen und gründlicher verarbeiten. Wahrnehmung wird immer gefiltert, was der automatischen Unterscheidung von relevanten und irrelevanten Reizen dient. Bei Normal-Sensiblen wird ein Großteil der irrelevanten Reize ausgeblendet, damit das Bewusstsein funktionsfähig bleibt und nicht überlastet wird. Auch Hochsensible haben neurologische Filter. Diese sind nur durchlässiger als die von Nicht-Hochsensiblen und deutlich geringere Reize übersteigen bereits die Wahrnehmungsschwelle.


Das heißt, dass Nicht-Hochsensible Störreize wie Hintergrundgeräusche nur anfangs bewusst wahrnehmen und anschließend als irrelevant einstufen und ausblenden, während HSP diese Reize als relevant weiterhin aufnehmen und nicht ausblenden können. Einfach ignorieren geht nicht. Das kann die Konzentration erschweren und Erholung verhindern.

Zusätzlich kommen noch Reize aus dem Körperinneren sowie Gedanken und Gefühle dazu, die ebenfalls als Reize wahrgenommen werden. Bei so vielen Reizen gleichzeitig, ist das Nervensystem schnell überfordert und nicht mehr in der Lage sich einfach zu regulieren.


Die hochsensible Wahrnehmung beinhaltet also:

  • intensivere, detailliertere, differenziertere Verarbeitung von Reizen (Licht, optische Eindrücke, Geräusche, Gerüche, Geschmack, Berührungen)

  • bewusstes Wahrnehmen subtiler Feinheiten in der Umgebung (Gespür für Befindlichkeiten, Stimmungen und nonverbale Mitteilungen anderer Menschen)

  • Fähigkeit, schwache Signale aus dem eigenen Körper zu bemerken

  • intensivere, detailliertere, differenzierteres Empfinden und Verarbeiten von eigene Emotionen und Emotionen anderer, eigene Gedanken

  • körperliche Hochsensitivität (stärkere Reaktionen auf Alkohol, Koffein und Medikamente), Tendenz zu Unverträglichkeiten und Überempfindlichkeitsreaktionen

Je nach Umständen und Anforderungen der Situation werden die verschiedenen Facetten als belastend oder bereichernd empfunden. Herkunft, Erziehung, soziales Umfeld, Bildung und Weiterbildung, sowie Lebensweg und Lebenserfahrungen spielen ebenfalls eine Rolle, ob die eigene Hochsensibilität eher positiv oder negativ empfunden wird.


Es gibt bei der Verbreitung von Hochsensibilität keine Unterschiede zwischen den Geschlechtern. Außerdem trifft Hochsensibilität keine Aussage über Introversion oder Extroversion (etwa 30% der HSP gelten als extrovertiert) oder kognitive/soziale Intelligenz.


Hochsensibilität ist keine Erkrankung oder psychische Störung, sondern ein eigenständiges und beständiges Persönlichkeitsmerkmal (sozusagen eine Charaktereigenschaft), daher ist sie auch nicht "heilbar" oder "abtrainierbar". Außerdem ist der Grad der Sensibilität auch nicht bei allen Hochsensiblen gleich - es gibt Abstufungen von wenig bis extrem hochsensibel. Aron bezeichnet Hochsensibilität als eine Normvariante in der Konstitution des Nervensystems und sollte nicht verwechselt werden mit Gehemmtheit, Schüchternheit, Ängstlichkeit, Introvertiertheit oder Neurotizismus.


Man geht davon aus, dass Hochsensibilität ein angeborenes Merkmal ist und im Alter zunimmt. Bei später entstandener starker Sensitivität (oft nach Traumata) geht man eher von einer Hypervigilanz aus, die von den Betroffenen im Gegensatz zur reinen Hochsensibilität meist nur stark belastend und negativ wahrgenommen wird. Hierbei handelt es sich um eine psychische Störung, die therapeutisch behandelt werden kann.


Ist Hochsensibilität ein "Mode-Ding"?


Nein! Hochsensibilität gab es schon immer, es gab nur noch keinen Begriff dafür. Schon 1884 schrieb Freiherr von Reichenbach eine Abhandlung für den besonders begabten sensitiven Menschen.


1935 veröffentlichte Eduart Schweingruber (Theologe, Psychologe & Autor) das Buch "Der Sensible Mensch - Psychologische Ratschläge zu seiner Lebensführung.


Und 1978 schrieb Prof. Dr. med Wolfgang Klages (Direktor der Psychiatrischen Klinik der TU Aachen) in seinem Werk "Der sensible Mensch" folgendes:


"Die Beschäftigung mit den Problemen des sensiblen Menschen in Forschung, Lehre und Praxis wird umso dringlicher, je stimulationsreicher im Zuge der zeitgeschichtlichen Entwicklung die technisch geprägte Welt wird..."


Das ist wohl auch der Grund, warum Hochsensibilität in den letzten 30 Jahren immer mehr zum Thema wird. Unsere Welt hat sich komplett verändert. Computer, Smartphones, Digitalisierung, ständige Erreichbarkeit, soziale Medien, Homeoffice, ein Überangebot an Konsumgütern (heute bestellt, morgen geliefert)... Jeden Tag sind wir konfrontiert mit tausenden von Möglichkeiten und müssen ständig Entscheidungen treffen. All diese extrem reizüberflutenden Dinge haben Einzug in unser Leben gehalten - privat wie beruflich. Sich dem komplett zu entziehen, ist schlicht unmöglich!


Wie lässt sich Hochsensibilität feststellen?


Da Hochsensibilität keine Erkrankung ist, kann auch keine offizielle Diagnose gestellt werden. Momentan können Menschen, die vermuten, hochsensibel zu sein, nur durch Selbsttest feststellen, ob die verschiedenen Symptome und Facetten in der Mehrheit auf sie zutreffen. An der Entwicklung eines psychologisch validen Testes wird allerdings schon gearbeitet.


Elaine Aron hat einen Fragenkatalog entwickelt, der allerdings recht kurz und etwas unspezifisch ist. Ein etwas ausführlicher Fragenkatalog wurde von Ulrike Hensel entwickelt. Beide Fragebögen sind zur Selbstreflexion und Selbsteinschätzung gedacht und die Tendenz ist bedeutsam.


Laut Aron gibt es Vier Indikatoren für Hochsensibilität und um als hochsensibel zu gelten, sollten Facetten aus allen vier Bereichen vorliegen:


1. Verarbeitungstiefe

2. Übererregbarkeit

3. Emotionale Intensität

4. Sinnessensibilität


Bei folgenden Personengruppen kann das Erkennen von Hochsensibilität erschwert sein:

- Männer

- Extrovertierte

- Sensation Seekers

- Scanner

- Hochbegabte


Oftmals wird Hochsensibilität auch mit einer bipolaren Störung, ADS oder Asperger verwechselt. Zum Glück hält das Thema Hochsensibilität in der Psychologie aber auch langsam Einzug und Beachtung. Gleichzeitig gibt es natürlich auch HSP mit einer bipolaren Störung, ADS oder einer anderen psychologischen Erkrankung oder Störung. Bei Verdacht ist es wichtig, die Diagnostik von einer psychologischen/psychiatrischen Fachperson durchführen zu lassen!


Mittlerweile wurde auch in verschiedenen Versuchsreihen mittels Magnetresonanztomografie (MRT) festgestellt, dass bei Hochsensiblen eine erhöhte Aktivität im Zwischenhirn (genauer gesagt in dessen Abschnitten Thalamus und Hypothalamus) vorliegt. Momentan befassen sich verschiedene wissenschaftliche Einrichtungen mit der Erforschung der Hochsensibilität, so dass wir sicherlich in naher Zukunft mehr gesicherte Erkenntnisse erhalten werden.


Wichtig ist es, sich mit dem Thema detailierter auseinander zu setzen, verschiedene Bücher zu lesen, sich mit anderen HSP austauschen und zu prüfen, ob es sich stimmig für einen selbst anfühlt. Bei den meisten Hochsensiblen stellt sich mit der Erkenntnis ein Gefühl von großer Erleichterung und Entlastung ein, da nun endlich eine Erklärung für das eigene Anderssein vorliegt. Das IFHS empfiehlt "eine Weile den Gedanken, eine HSP zu sein, quasi versuchsweise mit sich rumzutragen und nach einiger Zeit zu prüfen, ob sich die Lebensqualität gebessert hat oder man nach anderen Erklärungen für das besondere Lebensgefühl suchen muss".


Was sind häufige Themen in der Beratung von HSP?


Wie bereits erwähnt, ist Hochsensibilität keine Erkrankung oder psychische Störung und deshalb auch nicht behandlungswürdig. Allerdings kämpfen viele HSP mit einigen Facetten ihrer Hochsensibilität, was im Alltag zu hohen Belastungen und Überforderungen führen kann. Je nachdem, wie das familiäre Umfeld bereits im Kindesalter mit der Hochsensibilität umgegangen ist, sind vielleicht ungünstige Glaubenssätze und Konditionierungen entstanden, mit denen die Betroffenen im späteren Leben zu kämpfen haben.


Einige Themen in der Beratung von HSP sind daher:

  • Zurechtrücken des Selbstbildes, Akzeptanz der Hochsensibilität

  • Wie kann ich gut mit meiner Hochsensibilität umgehen?

  • Wie kann ich als HSP gut mit anderen zurechtkommen?

  • Wie kann ich die Vorteile, die mit meiner HS verbunden sind, einsetzen?

  • Fragen nach dem wahren Selbst, nach dem Selbstwert, nach dem Wert dessen, was du leistest

  • eigene Bedürfnissen, Wünsche und Ziele aufspüren

  • sich Gehör verschaffen

  • sich ggf. trotz fehlender Zustimmung anderer um Erfüllung der eigenen Bedürfnisse kümmern

  • etwas Neues ausprobieren

  • unangebrachte Fremdbestimmung hinter sich bringen

  • sozial verträgliche Selbstbestimmung zur Gewohnheit mache

Das wichtigste Ziel ist es, ein Leben im Einklang mit dem eigenen Naturell zu führen und nicht den Lebensstil von Nicht-HSP zu kopieren versuchen. Langfristig ist Zufriedenheit und Gesundheit nur durch die Berücksichtigung der hochsensiblen Wesensart möglich. Was tut mir gut? Was nicht? Lernen den eigenen Maßstäben zu trauen. Das eigene Tempo finden. Es ist aber auch keine Lösung, ein aus Sicherheit stark zurückgezogenes Leben zu führen. HSP sind nämlich nicht von Natur aus "einsame Wölfe", sondern lieben und brauchen den Austausch mit anderen (auf ihre Weise!).


Ist ein HSP nicht gestresst und überreizt, kommt ihre empathische, feinfühlige Seite zum Vorschein. Hochsensible gelten oft als zuverlässig, integer, vertrauenswürdig, stellen sich intensiv auf andere ein, denken und fühlen sich in die Gedanken- und Gefühlswelt anderer ein, nehmen Anteil, leisten Beistand und führen liebend gerne in die Tiefe gehende inspirierende Gespräche (Smalltalk dagegen wird oft als anstrengend oder gar langweilig empfunden).


Arme und Hände einer Frau die Muscheln in der Hand herzeigt.

Quellen:

– "Sind Sie hochsensibel? Wie Sie Ihre Empfindsamkeit erkennen, verstehen und nutzen" von Elaine N. Aron; mvg Verlag, 13. Auflage 2019

– "Hochsensible Menschen im Coaching" von Ulrike Hensel; Junfermann Verlag, Paderborn 2015

– Internetpräsenz des Informations- und Forschungsverbundes Hochsensibilität e.V. (IFHS) → http://www.hochsensibel.org


➡️ Schau dir auch meinen Blogartikel Mein Weg zum Coach für hochsensible Frauen an.

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