Was bedeutet Regulation für neurodivergente Menschen – und was nicht?
- Nina Payer

- 3. Okt.
- 3 Min. Lesezeit
Wenn du mit ADHS lebst, hochsensibel bist oder generell ein besonders sensibles Nervensystem hast, hast du vielleicht schon öfter gehört:
„Du musst dein Nervensystem regulieren.“
„Finde doch endlich mal Strategien, um stabiler zu bleiben.“
Aber was genau bedeutet eigentlich Regulation, besonders für neurodivergente Menschen? Und warum wird dieser Begriff so oft missverstanden?

Regulation ist kein Zustand – sondern ein Prozess
Viele denken bei „Regulation“ an etwas Ruhiges, Ausgeglichenes, am besten mit geschlossenen Augen auf dem Meditationskissen. Ein geordneter Alltag. Weniger Reize. Kein Drama. Vielleicht ein bisschen Yoga.
Aber für neurodivergente Menschen ist Regulation oft keine gleichmäßige, kontrollierte Stabilität, sondern ein ständiges, aktives Management der inneren Zustände. Es geht nicht darum, ruhig zu sein, sondern verbunden zu bleiben.
Für neurodivergente Menschen gilt: Regulation ≠ Normalität
Der Maßstab für Regulation wird oft an einer neurotypischen Vorstellung von Selbststeuerung angelegt:
Morgens nach 8 Stunden Schlaf frisch aus dem Bett.
Reize werden gut gefiltert.
Die Konzentration abrufbar, wenn nötig.
Entscheidungen sind klar.
Die Emotionen verhältnismäßig zur Situation.
Doch wer zum Beispiel mit ADHS lebt, hat eine ganz andere Realität:
Starker Dopaminmangel morgens – Antrieb null.
Entweder Hyperfokus oder völlige Blockade - und das nicht willentlich beeinflussbar.
Ständige Reizoffenheit bis zur Reizüberflutung.
Gefühle, die von jetzt auf gleich wie ein Tsunami kommen – oder komplett weg sind.
Regulation bedeutet in diesem Fall nicht, „wie alle anderen zu funktionieren“! Sondern ein Bewusstsein für das eigene Nervensystem herzustellen und individuelle Wege zu finden, um in Verbindung zu bleiben.
Was Regulation nicht ist
Regulation heißt nicht:
→ Deine Emotionen immer im Griff haben
→ Alles was aufkommt „wegatmen“ können
→ Immer ruhig, gelassen und vernünftig reagieren
→ Dich 100 % selbst steuern zu können – ohne äußere Hilfe
→ Jeden Tag gleich gut funktionieren
Das sind Mythen, die Druck machen, besonders auf Menschen, deren Nervensystem ohnehin permanent mehr leisten muss, um im Alltag mitzukommen.
Was Regulation ist – gerade bei ADHS & Co.
Regulation bedeutet für neurodivergente Menschen:
✔️ Sich selbst besser wahrnehmen: Was passiert gerade in mir?
✔️ Frühzeitig erkennen: Bin ich überreizt, unterstimuliert, im Hyperfokus, im Rückzug?
✔️ Kleine Werkzeuge kennen, individuell, passend zur eigenen Reizverarbeitung
✔️ Strategien haben, die nicht gegen das eigene System arbeiten, sondern mit ihm
✔️ Co-Regulation zulassen und nicht alles allein machen müssen
✔️ Lernen, Pausen zu machen, bevor der Kollaps kommt
✔️ Mit starken Emotionen umgehen, sie nicht unterdrücken
Ein Beispiel: Regulation bei ADHS
Klassische Tipps wie: „Mach doch einfach eine Pause!“ oder „Strukturiere deinen Tag!“ funktionieren oft nur theoretisch. Das System ist entweder zu unterstimuliert (es ist unmöglich mit etwas loszulegen) oder zu überstimuliert (alles prasselt auf einmal auf einen ein).
Was stattdessen helfen kann:
Bewegung, um innere Aktivierung abzuleiten
Körperliche Reize, um Präsenz herzustellen (z. B. kaltes Wasser, Gewichtsdecke, Barfußgehen)
Wechsel zwischen Reizreduktion und Reizdosierung
Kreative Regulation: Tanzen, Reden, Lesen, Musik hören – nicht nur „ruhige“ Tools
Co-Regulation: eine sichere Person, eine beruhigende Stimme, ein Tier, ein Raum, der Halt gibt
Es geht nicht darum, immer stabil zu sein, sondern immer wieder zurück in die Verbindung zu finden, wenn das System aus dem Gleichgewicht geraten ist.
Regulation ≠ Selbstoptimierung
Ein wichtiger Punkt – gerade für Menschen mit ADHS oder Maskierungserfahrung:
Regulation darf kein neues Leistungsideal werden. Es geht nicht darum, endlich (wieder) zu funktionieren oder für sich und andere weniger anstrengend zu sein.
Regulation ist Selbstfürsorge. Sie ist der Versuch, mit dem zu leben, was ist, nicht es loszuwerden. Und sie sieht für jede Person anders aus.
Regulation ist ein individueller Weg, kein Zustand, den man erreicht.
Wenn du neurodivergent bist, wirst du dein Nervensystem nicht reparieren. Du wirst lernen, es zu verstehen. Und mit ihm zu leben; liebevoll, neugierig, manchmal auch frustriert. Aber nicht mehr im ständigen Widerstand.
Regulation heißt nicht, dass alles leicht ist. Aber sie kann den Unterschied machen zwischen Dauerüberforderung und einem Alltag, in dem du dich selbst nicht verlierst. 🤍
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