Wie funktioniert eigentlich das Nervensystem?
In diesem Blogartikel möchte ich dir die Funktion des sogenannten autonomen Nervensystems ein bisschen näher bringen und dabei aufzeigen, was Nervensystemregulation eigentlich ist.
Das autonome Nervensystem
Das autonome Nervensystem ist für alle unwillkürlichen und nicht bewusst steuerbaren Prozesse verantwortlich. Es beeinflusst unseren Herzschlag, unsere Körpertemperatur, die Verdauung, das Immunsystem und viele andere Prozesse in unserem Körper.
Über die fünf Sinnesorgane nimmt es Reize in uns und unserer Umgebung wahr und übermittelt diese ans Gehirn (bei Hochsensiblen Menschen tendenziell mehr als bei Nicht-HSP).
Die Hauptaufgabe des autonomen Nervensystems ist es, unser Überleben zu sichern! Neben den bereits oben genannten unwillkürlichen, lebenserhaltenden Prozessen im Körper, ist es auch für folgende Dinge zuständig:
Aktivierung des Überlebensmodus in Gefahrensituationen
(durch Kampf- oder Fluchtverhalten, bzw. dem völligen Erstarren, falls Kampf oder Flucht keine Option mehr darstellt).
Ermöglichung von sozialem Austausch und Interaktion
(durch gezieltes Verhalten, um miteinander in Kontakt zu kommen, damit das Überleben über soziale Zugehörigkeit und gegenseitige Unterstützung gesichert werden kann).
Die Polyvagal Theorie
Nach der Polyvagal Theorie von Stephen Porges, gibt es drei Zustände bzw. Verhaltensweisen des autonomen Nervensystems: den ventralen Parasympathikus (Bremse), den Sympathikus (Gaspedal), sowie den dorsalen Parasympathikus (Notbremse).
Der ventrale Parasympathikus ("Bremse")
Der ventrale Parasympathikus ist die Zone des Sicherheitsempfindens. Wir fühlen und sicher und entspannt, Stress und Sorgen werden in diesem Zustand abgemildert. Wir können uns und andere beruhigen, zuhören und flexibel auf unsere Umgebung reagieren. Wir interessieren uns für andere, lassen zwischenmenschliche Beziehungen in den Fokus rücken, sind konzentriert und zeigen höhere kognitive Funktionen.
Logisches und rationales Denken ist tatsächlich nur in diesem Zustand möglich, wenn das Nervensystem sich sicher fühlt! Das Immunsystem ist gestärkt, Wachstum und Transformation können stattfinden.
Der Sympathikus ("Gaspedal")
Der Sympathikus ist unser Mobilisierungssystem. Er steht für Aktivität und Beschleunigung und ist ursprünglich entstanden, um uns in Gefahrensituationen zu mobilisieren, um bei Gefahr fliehen oder kämpfen zu können.
Der Sympathikus wird aktiviert, sobald das Nervensystem eine Gefahr wittert - egal ob sie real im Außen existiert, wir nur fälschlicherweise etwas für eine Gefahr halten oder ob die Gefahr nur im Kopf existiert (in Form von Sorgen und Erinnerungen). Ist unser Sympathikus aktiviert, fühlen wir uns leicht irritierbar, gereizt und wütend, machen uns schnell Sorgen, sind generell ängstlicher und sehen eher das Negative.
Verbleibt das Nervensystem länger in diesem Zustand der Alarmbereitschaft und Gefahr, schüttet der Körper immer mehr Stresshormone (Kortisol und Adrenalin) aus. Ursprünglich wurden diese Stresshormone durch eine schnelle Flucht oder den intensiven Kampf körperlich wieder abgebaut, sodass die Hormone im Körper sich schnell wieder regulierten und das Nervensystem wieder auf Sicherheit umschalten konnte.
Aber diese körperliche Aktivität ist etwas, was uns heutzutage meist fehlt. Stattdessen lernen wir still zu sitzen, uns nichts anmerken zu lassen und in der Situation auszuharren. So staut sich der Stress in uns an, unsere Hormonproduktion ist ständig aktiv und das kostet uns unglaublich viel Energie. Unser Immunsystem, unsere Verdauung und unsere Fähigkeit, logisch und rational zu denken, wird gehemmt. Ein Teufelskreis!
Der dorsale Parasympathikus ("Notbremse")
Der dorsale Parasympathikus ist unser Immobilisierungssystem. Wie eine Notbremse kommt er immer dann zum Einsatz, wenn bei andauernder oder extremster Gefahr eine Kampf- oder Fluchthandlung keine Option mehr zu sein scheint.
Der dorsale Parasympathikus fährt dann das komplette System herunter, bremst ganz plötzlich ab, bis hin zum vollständigen Stillstand. Wir stellen uns sozusagen tot. Dies kann körperlich in Form eines Kollaps/einer Ohnmacht stattfinden, aber manchmal geht der Shutdown auch mit einer sogenannten Dissoziation einher, d.h. dem Betäuben oder sogar Abspalten der intensiven, nicht mehr auszuhaltenden Empfindungen der Gefahrensituation.
In diesem Zustand funktionieren wir nur noch wie Roboter. Unsere kognitiven Fähigkeiten sind extrem eingeschränkt. Wir haben keinen richtigen Kontakt mehr zu uns oder unserer Umgebung.
Was ist ein reguliertes Nervensystem?
Um diesen Teufelskreis zu durchbrechen, ist es wichtig, das Nervensystem zu regulieren und den angespannten (Alarm-)Grundzustand zu reduzieren, sodass sich der ventrale Parasympathikus wieder aktiviert.
Im ersten Moment könnte man annehmen, dass ein reguliertes Nervensystem sich immer im ventralen Sympathikus, also in der Zone des Sicherheitsempfindens befindet. Aber das ist nicht so! Ein Leben ganz ohne Stress ist völlig unmöglich!
Reguliert bedeutet, dass dein Nervensystem bei Stress oder Gefahr in den Alarm- und Gefahrenmodus hochfährt, sich aber, sobald die stressige Situation beendet ist, wieder fließend runterreguliert in die Zone des Sicherheitsempfindens. Dieses flexible Umschalten ermöglicht es, jederzeit angemessen auf die äußeren Umstände reagieren zu können.
Ein dysreguliertes Nervensystem ist dazu nicht in der Lage. Es kann auch von einem Zustand in den anderen wechseln, allerdings nicht im gleichen gesunden und ausbalancierten Maße, sondern eher abrupt und unvorhergesehen. Das zeigt sich zum Beispiel in Form von Stimmungsschwankungen und dem Gefühl, immer von jetzt auf gleich kurz vor einem Zusammenbruch zu stehen.
Zudem bleibt ein dysreguliertes Nervensystem oft für längere Zeit in einem Zustand stecken und so auch nur wenig Möglichkeiten für Veränderungen vorhanden sind.
Was tun wir also bei der Nervensystemregulation?
Um sich aus einer solchen Dysregulation zu lösen und dem Nervensystem wieder beizubringen, zwischen den verschiedenen Systemen flexibel und fließend wechseln zu können, ist der erste Schritt, dass das Nervensystem lernt, eine echte Gefahr von dem zu unterscheiden, was unseren Sympathikus überaktiviert, ohne dass eine echte Bedrohung des Lebens besteht (dabei geht es vor allem um die mentalen und emotionalen Stressoren, die die gleiche Wirkung auf das Nervensystem haben, wie eine echte Lebensgefahr).
Daher ist es ein großer Bestandteil meines NESC-Coachings, durch das SEIN-Tool dabei zu unterstützen, mehr und mehr in den ventralen Parasympathikus zurückzufinden. Selbst wenn die Klientin die parasympathische Aktivität anfangs vielleicht noch nicht alleine aufrecht halten kann, lernt ihr System doch zunehmend sich selbst zu regulieren, um mehr und mehr einen entspannteren Nervensystemzustand einzunehmen.
Nur hier ist das logische Denken wirklich möglich und wir können die Dinge mit Klarheit sehen und anpacken. Je nachdem, wie lange das komplette System sich schon in der Dysregulation befindet, ist es wichtig, diesem Prozess genug Zeit zu geben! Ein zu schnelles Umgewöhnen führt dazu, dass das Nervensystem diesen Zustand nicht lange halten kann, wodurch wiederum Stress entsteht, der den Sympathikus wieder aktiviert.
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